Informationen für Eltern und Bezugspersonen
Im Litkey-Projekt beschäftigen wir uns mit dem Erwerb und der Vermittlung von Literacy im Vor- und Grundschulalter. Literacy ist ein Begriff, der in vielen verschiedenen Bereichen und mit jeweils unterschiedlichen Bedeutungen benutzt wird. Wir nutzen ihn, um uns auf die Fähigkeiten zu beziehen, die sich mit dem Erwerb der Schrift und – mehr noch – der Schriftsprache entwickeln sollten.1
In Deutschland lernen ca. 15% aller Kinder nur unzureichend lesen und schreiben und finden insofern oft nur bedingt den Weg in die literate Gesellschaft. Wir gehen davon aus, dass einige Methoden der Schriftvermittlung nicht gut geeignet sind, um Kinder zur Schrift und zum Schreiben zu bringen, weil sie die Reichweite sogenannter impliziter Lernprozesse falsch einschätzen. Wir untersuchen daher im Litkey-Projekt die Rolle solcher impliziter Lernprozesse beim Grammatik- und Orthographieerwerb und wollen herausfinden, wie solche impliziten Lernprozesse optimal für die Vermittlung von Grammatik und Orthographie im Vor- und Grundschulalter genutzt werden kann. Implizites Lernen ist Lernen, das sich beiläufig und unabsichtlich vollzieht. Es ist intuitives Lernen; das gelernte kann also zwar umgesetzt, aber nicht in Worten beschrieben werden. Implizites Lernen ist über die gesamte Lebensspanne zu beobachten, aber bei Kindern besonders auffällig: Denn Kinder lernen in ihren ersten Lebensjahren, grammatische Regeln anzuwenden, ohne dass sie sagen könnten, wie diese Regeln im Einzelnen funktionieren. Implizites Lernen ist insofern auch für schulisches Lernen geeignet. Allerdings darf man sich nicht darauf verlassen, dass sich implizites Lernen allein aus den SchülerInnen heraus von allein einstellt, sondern der/die ErzieherIn oder LehrerIn sollte implizites Lernen gezielt über entsprechend geeignetes Material steuern. Denn anders als oft vermutet setzt implizites sprachliches Lernen reichlichen und korrekten sprachlichen Input voraus, der es den Lernern erlaubt, die strukturellen Eigenschaften der Sprache zu erfassen und für den Erwerb zu nutzen. Wir sprechen hier von impliziter Vermittlung: Eine Unterrichtssituation also, die auf implizites Lernen setzt und versucht, die Bedingungen dafür zu optimieren.
Kernhypothese des Litkey-Projektes ist, dass implizit erworbene grammatische und orthographische Fähigkeiten wesentliche Grundlage sicherer Lese- und Schreibfertigkeiten sind. Sie sollten sich in solidem implizitem Wissen über die strukturellen Eigenschaften der Orthographie niederschlagen. Gute Schreibleistungen sollten also mit gut verankertem Wissen über solche strukturellen Eigenschaften einhergehen, die sich gut statistisch beschreiben lassen. Konkret wollen wir die Hypothese untersuchen, dass die Schreibleistung guter SchreiberInnen in engem Zusammenhang steht mit den statistischen Oberflächeneigenschaften der Orthographie. Unsere Hypothese ist, dass die Schreibleistung guter SchreiberInnen im Vergleich zu der schwächerer SchreiberInnen stärker von diesen statistischen Eigenschaften abhängt – häufige Phänomene werden besonders oft richtig, sehr seltene Phänomene besonders oft falsch geschrieben. Bei den schlechteren SchreiberInnen ist die Schreibleistung weniger systematisch, das implizite Wissen entsprechend weniger gut verankert.
Im ersten von insgesamt vier Teilprojekten untersuchen wir diese Hypothese mittels computerlinguistischer Methoden, mit denen man statistische Zusammenhänge zwischen sprachlichen Phänomenen in großen Datensätzen – in unserem Fall vielen Schülertexten – gut untersuchen kann. Ein anderer, etwas direkterer Weg, die “Implizitheit” orthographischen Wissens zu untersuchen, ist, experimentell zu bestimmen, wie orthographisches Wissen das Schreiben beeinflusst – wenn orthographisch relevante Planungseinheiten beim Schrifterwerb erworben wurden, so sollten sie Einfluss nehmen auf den Zeitverlauf der motorischen Planung von Wörtern beim Schreiben (Projekt Schreibtablet). Im Hinblick auf die Vermittlung grammatischen und orthographischen Wissens wollen wir prüfen, wie effektiv verschiedene Formen der Inputoptimierung wirken, also wie grammatische und orthographische Information besonders lernerfreundlich dargeboten werden kann. Hier nehmen wir also auch die Vorläuferfähigkeiten für den Orthographieerwerb in den Blick, vor allem die Entwicklung der grammatischen Fähigkeiten von Kindern im Vorschulalter und ihre Förderung. Hier arbeiten wir zum einen mit experimentellen Methoden: Man kann Grammatiklernen und -fördern experimentell gut untersuchen, indem man mit Kunstsprachen arbeitet, in denen man bestimmte sprachliche Phänomene nachbildet und dann schaut, unter welchen Lernbedingungen LernerInnen – hier: Kinder – sie besonders gut meistern lernen (Projekt Fantasiesprache). Im vierten Teilprojekt erstellen wir gezielt Bilderbücher mit Texten, die nach den von uns identifizierten Vermittlungsmethoden gestaltet sind und somit sprachförderlich besonders effektiv sein sollten. Ihre Wirksamkeit, in Kombination mit einem Liederbuch mit entsprechend gestalteten Kinderliedern, untersuchen wir hier in einer Evaluationsstudie (Projekt Kinderbuch). Darüber hinaus entsteht in diesem Teilprojekt ein Praxisbuch zur Sprachförderung für ErzieherInnen und LehrerInnen.
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Literat zu sein bedeutet, unterschiedliche sprachliche Register so zu beherrschen, dass man sich in verschiedenen sozialen Situationen sprachlich angemessen ausdrücken kann. Literat zu werden, bedeutet insofern, zu verstehen, wie sich geschriebene und gesprochene Sprache unterscheiden, und welche Form des sprachlichen Ausdrucks in welcher Situation angemessen ist. Kinder müssen vor allem literate Register, die typischerweise in geschriebenen Äußerungen und Texten vorkommen, erwerben, da sie bis zum Schuleintritt primär mündliche Register erworben haben. Wesentlich für literate Register ist, dass die sprachliche Form der Äußerung alle relevante Information übermitteln muss, es gibt keine gestische und aus der Situation verfügbare nicht-sprachliche Unterstützung. Literate Äußerungen sind daher in der Regel grammatisch vollständig und korrekt, was gesprochene Sprache oft nicht ist – in gesprochener Sprache gibt es oft Satzabbrüche oder im schriftlichen Ausdruck nicht übliche grammatische Formen. Außerdem sind literate Äußerungen orthographisch korrekt, denn: Orthographie, also Rechtschreibung, kodiert grammatische Bezüge und hilft Lesern, diese Bezüge im Text zu sehen und zu verarbeiten. Die beiden Merkmale literater Texte – grammatische Vollständigkeit und orthographische Korrektheit – hängen also unmittelbar zusammen: Weil literate Texte nur aus sich heraus verständlich sein müssen, müssen sie, um verständlich zu sein, auch orthographisch korrekt sein. Insofern ist der Orthographieerwerb ein ganz zentraler Aspekt des Literacy-Erwerbs.
Wenn Kinder Orthographie erwerben, müssen sie lernen, wie sie grammatische Bezüge kodiert. Sie erkennen, dass z.B. ein Wort wie FERNSEHER, das sie bisher vielleicht nie in seine Bestandteile zerlegt hatten, aus drei wortartigen Bestandteilen zusammengesetzt ist, die zu seiner Gesamtbedeutung beitragen. Gleiches gilt für Wortkombinationen wie KOMM MAL, die sie vielleicht bisher immer zusammen ausgesprochen haben (als „komma“) und die sie nun als aus zwei Wörtern zusamen gesetzt erkennen können. Um zu verstehen, wie Orthographie grammatische Bezüge kodiert, müssen angehende SchreiberInnen ein solides Fundament an intuitivem (oder implizitem) grammatischem Grundwissen haben, damit sie, wenn sie schreiben lernen, die Bezüge zwischen ihrem vorhandenen Wissen über Wörter und Wortbestandteile in und mit der geschriebenen Sprache entdecken können. Insofern beginnt Schrift(sprach)erwerb lange vor dem Schuleintritt. ↩